Der zweite Engel (German Edition) by Kerr Philip

Der zweite Engel (German Edition) by Kerr Philip

Autor:Kerr, Philip [Kerr, Philip]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783644023512
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2013-07-31T22:00:00+00:00


II

Dallas schlug die Augen auf. Er schwebte, in seinen Schlafsack gehüllt, im Dunkel. Aufgrund der Schwerelosigkeit und des Schlafmangels fühlte er sich ein bisschen desorientiert. Hatte er geschlafen? Schwer zu sagen. Im Mariner war alles ruhig, nur das leise Summen der Geräte und das Atmen seiner Mitverschwörer brachen die Stille des Alls. Die absolute Stille. Dallas war zwar schon auf dem Mond gewesen, aber er hatte vergessen, wie still der leere Raum war. Zumindest für menschliche Ohren. Der Weltraum war erfüllt von Mikrowellenstrahlung, die aus nahezu allen Winkeln des Universums auf die Erde eindrang und mit einer primitiven Hornantenne leicht hörbar zu machen war – ein Geräusch wie von einem Schwarm Spatzen. Das war einer der ersten Beweise für die Expansion des Universums gewesen. Das Geräusch war ganz hell, die Rotverschiebung seines Spektralbereichs so ausgeprägt, dass es sich nur als Mikrowellenstrahlung deuten ließ – und somit letztlich als der Beginn aller Dinge. Dallas hatte dieses Geräusch von jeher fasziniert; schon als kleiner Junge hatte er begriffen, dass das, was er da hörte, der Moment war, in dem die Zeit begann.

Er schaute auf seine Uhr und sah, dass er tatsächlich drei bis vier Stunden geschlafen hatte. Aber er fühlte sich kaum erfrischt. Die Atmosphäre im Schiff hatte gar nichts Frisches. Nicht bei den Mucken, die Entsorgungs- und Umweltkontrollsystem zeigten. Erst ein halber Reisetag vorbei, und schon drifteten kleine Bröckchen Scheiße in der Kabine herum, von dem Methan, das die siebenköpfige Crew produziert hatte, ganz zu schweigen. Das lag vor allem an ihrer ersten ballaststoffarmen Bordmahlzeit – einer auf Hühnercurry getrimmten Zuchtwurmzubereitung, die für Dallas’ Geschmack in ihrer dehydrierten Form durch etwas weniger Gewürzzusätze gewonnen hätte. Wie zur Bestätigung hörte er Prevezer laut in seinen Schlafsack furzen. Prevezer war einer von Kaplans Leuten. Er war Virtual-Reality-Modellentwickler, und sobald sie in ihrem Hotel auf der Tranquillity Base waren, würde es Prevezers Job sein, aus den Bits und Bytes, die in Dallas’ Computer gespeichert waren, ein Siliziumsurrogat der realen Blutbank herzustellen. An dieser elaborierten künstlichen Welt würde Dallas seinen Plan testen – die Art Experiment, so hoffte er, die alle unvorhergesehenen Probleme aufdecken würde. Daher war Prevezer ein wichtiges Teammitglied, auch wenn er mehr Säure im Magen zu haben schien als alle anderen, auch wenn Dallas seine schlafende Gestalt am liebsten in die Luftschleuse zur Ladebucht bugsiert und ins All entsorgt hätte.

Dallas befand, dass seine Ruhephase vorbei war. Er befreite sich aus seinem Schlafsack und manövrierte sich zum Kabinenfenster. Sie hatten jetzt den Orbit verlassen, und die volle Erde – alles von Afrika und der arabischen Halbinsel bis zur Antarktis – war klar und deutlich sichtbar. Auf einem normalen Linienflug zum Mond würden jetzt alle Touristen auf dem Kameradeck des Astroliners stehen und Fotos machen. Dallas hatte das selbst auch schon getan. Er hatte die Bilder in seinem elektronischen Pocketalbum – jener immer wieder kopierten kleinen Plastikkarte, die er stets bei sich trug und die in digitaler Form die gesamte fotografische Dokumentation seines Lebens enthielt, von seiner Geburt bis zu der von Caro. Manchmal



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